Die Immobilienwelt nach COVID-19


Ein Beitrag von: GHEZZO IMMOBILIENFACHBEIRAT 2020

Unser 6. Fachbeirat „Bau und Immobilien“ war so ganz anders: Üblicherweise treffen wir uns in Anzügen und Krawatten in einem offiziellen Rahmen. COVID-19 hat dafür gesorgt, dass alles neu wird. Ein reales Treffen – wie wir es seit Monaten geplant hatten – ging leider nicht. Dank der zahlreichen Erfahrungen der letzten Wochen in Sachen Online Kommunikation haben wir kurzer Hand ein Online Meeting daraus gemacht. Und trotz der aktuellen Herausforderungen war die Stimmung gekennzeichnet von Chancen, von „wir schaffen das“ und von Wiedersehensfreude untereinander.

Auch thematisch war diesmal alles anders. Wir fragen jedes Jahr: „Was sind die großen Herausforderungen, denen Sie aktuell gegenüberstehen? Oder: Was sind die Trends, die die Immobilienbranche prägen? Während die Trends der vergangenen Jahre eher stabil waren, stehen wir 2020 vor einer Situation, wie wir sie sonst aus Filmen oder vom Hören-Sagen kennen. Dementsprechend komplex stellen sich heuer die Herausforderungen und Erwartungen der Branche dar und viele Fragen sind offen. Aber lesen Sie selbst…

Mit dabei waren:

  • Florian Amlacher, Geschäftsführer Projektentwicklung AT bei eyemaxx Real Estate Group
  • Stephan Barasits, Geschäftsführer, GMW Großmarkt Wien
  • Sandra Bauernfeind, Geschäftsführende Gesellschafterin, EHL Wohnen GmbH
  • Alexander Ghezzo
  • Gudrun Ghezzo
  • Marc Guido Höhne, Geschäftsführer, Drees & Sommer
  • Alexander Kopecek, Vorstand, Wien 3420 Aspern Development AG
  • Andreas Köttl, CEO, value one holding AG
  • Eugen Otto, CEO, Otto Immobilien
  • Michael Pech, Vorstand, ÖSW AG
  • Katrin Pohorsky, Ghezzo GmbH
  • Wolfgang Scheibenpflug, Geschäftsbereichsleiter Immobilien, Flughafen Wien
  • Jasmin Soravia
  • Peter Christian Ulm, CEO, allora Immobilien
  • Andreas Völker, Managing Director, BNP Paribas Real Estate Consult GmbH, Frankfurt am Main
  • Silvia Wustinger-Renezeder, Geschäftsführerin, 6B47 Wohnbauträger GmbH

Der große Einbruch

2019 war ein richtiges Boomjahr und 2020 hätte das noch toppen können. Doch seit März gibt es auf einmal so gut wie keine Transaktionen mehr, so berichtet Andreas Völker aus Frankfurt. Dabei wäre sogar Nachfrage da – Eugen Otto hat allein am Osterwoche 90 Interessenten an Anlagewohnungen registriert. Geld will sicher angelegt werden, nachdem man noch nicht sagen kann, wie sich die Währungsstabilität weiterentwickelt. Mit den Abschlüssen warten die Kunden aber ab, da sich die Konsequenzen der Corona Krise auf die Assetklassen noch nicht absehen lassen. Außerdem braucht es aus Sicht der Immobilienmakler doch noch physische Besichtigungen. Und da ist einiges auch rechtlich noch unsicher: darf ein Interessent eine Wohnung überhaupt besichtigen?

„Fahren auf Sicht“ ist nun laut Eugen Otto angesagt. Wirkliche Immobilienkompetenz wird dabei eine ganz wichtige Rolle spielen. Steht also den Immobilien-Consulting-Unternehmen ein Boom bevor?

Assetklassen

Hotel
Zu den ganz großen Sorgenkindern gehören Gastronomie und Hotels. Jasmin Soravia berichtet von den Hotel-Projekten der Soravia Gruppe, dass Eröffnungen verschoben werden und Pächter versuchen, mietfreie Zeit zu erwirken. Viele Hotels – wie z.B. das Moxy am Flughafen Wien – sind geschlossen. Ähnliches sieht man im Bereich Serviced Apartments und im studentischen Wohnen, meinen Andreas Köttl und Michael Pech.

Wohnen
Auch bei Wohnimmobilien kann man nicht von einer sicheren Preis- und Mietentwicklung ausgehen, weil die gesamten wirtschaftlichen Einbußen und Arbeitslosenzahlen sich auch darauf auswirken, wieviel man überhaupt noch für Wohnen ausgeben kann und will. Anderseits hat die Quarantäne-Zeit auch gezeigt, wie wichtig und relevant ausreichender und angenehmer Wohnraum ist. Das Produkt ‚Anlagewohnung‘ wird – so sind sich Sandra Bauernfeind, Eugen Otto, Michael Pech und Andreas Völker einig – einen Boom erleben.
Zu Gestaltung des Wohnraums sagt Sandra Bauernfeind: „Außenbereiche (Balkon, Terrassen…) bei den Wohnungen waren bis jetzt schon sehr wichtig – Gemeinschaftsflächen teilweise – unserer Erfahrungen sind Gemeinschaftseinrichtungen wie Bürobereiche, extra Aufenthaltsräume etc. bis jetzt schon nur dann erfolgreich, wenn sie buchbar sind.“ Gemischte Nutzung werden nun immer wichtiger.
Individuelle Freiflächen sind nach den Ausgangsbeschränkungen ein Muss. Silvia Wustinger-Renezeder bemerkt mehr Nachfrage für den Stadtrand – vielleicht auch gerade aus der aktuellen Parkplatz-Situation in Wien. Auch Alexander Kopecek erlebt für die Seestadt Aspern ungebrochene Nachfrage.

Gewerbe
Mietreduktionen treffen den Gewebebereich. So gewährt der Flughafen Wien Airlines Mietstundungen, wobei, so Wolfgang Scheibenpflug, die meisten Mieter weiterhin die Miete zahlen. „Es wird darauf ankommen, wie schnell sich ein normales Niveau wiederherstellen lässt“, sagt er.
Was Offices betrifft, muss man von einem Rückgang der Nachfrage ausgehen. Homeoffice funktioniert besser als gedacht. „Ich sehe die Krise als Katalysator für neue Arbeitsformen.“, sagt Wolfgang Scheibenpflug. Office-Konzepte mit geringem Anteil an Core-Bürofläche und der Möglichkeit, flexible Flächen temporär zuzumieten, werden als Produkt sehr attraktiv.“ Silvia Wustinger-Renezeder kommentiert: „In diese Richtung gehen unsere Planungen – wir sehen darin einen kommenden Trend.“
Vor ‚more of the same‘ warnt Alexander Kopecek. Lebensqualität muss auch im Büro möglich sein. Für die Mieter, die jetzt wieder in ihre Büros zurückkehren, braucht es Beratung und Unterstützung.
Wolfgang Scheibenpflug berichtet vom Flughafen Wien, dass vor allem die Logistik sich schon jetzt wieder in Richtung Vor-Krisen Niveau bewegt. Auf Grund der internationalen Lieferengpässe und Boom des Online Handels steigt schon jetzt die Nachfrage nach Logistik- und Lagerflächen. Die Verletzbarkeit der Lieferketten vor Auge wird es wieder mehr Lager aber auch produktive Flächen in der Stadt brauchen, meint Silvia Wustinger-Renezeder.
Das bestätigt auch Stephan Barasits. Er sieht einen Bedarf an neuen Lösungen, die großen Playern mit lokalem Know How Mehrwert bieten, z.B. im Bereich der Frisch-Lieferungen. Vom Großmarkt berichtet er, dass Warenabholung eine Renaissance während der Corona-Krise erlebt. Drive-In Systeme sind eine innovative Reaktion. Ob sich das nach der Krise so halten wird, wird sich zeigen.

Stadtentwicklung und Wünsche an die Politik

Das Thema Widmungen wird, so Eugen Otto, als künstliches Korsett wahrgenommen. Stadtplanung und Politik sollte sich mit dem Markt austauschen, um so die optimalen Nutzungsmöglichkeiten im Einklang mit den Bedürfnissen der Menschen und des Marktes zu finden. Gerade in Zeiten der tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Veränderung wird das entscheidend sein, einen neue Vertrauenskultur aufzubauen.

Produktion muss auch in Ballungszentren wieder möglich sein. Alexander Kopecek und Silvia Wustinger-Renezeder erwarten sich, dass lokale Versorgung an Bedeutung gewinnen wird und das muss in der Stadtplanung berücksichtigt werden.

Peter Ulm sagt: „Gebiets- & Stadtentwicklung mit vielen verschiedenen Nutzungen wird die Monokultur ablösen; die Generationenübergreifung wird dann im Großraum aber nicht im Objekt stattfinden!“

Die Baustellen wieder auf volle Leistung bringen

Baustellen wieder auf volle Kapazität zu bringen, das wird eine große Herausforderung. Bei der Baustelle Office Park IV vom Flughafen Wien ist man nach Ostern wieder auf einem Niveau von 50 – 60%. Engstelle dabei sind die Subunternehmen aus Ungarn und Slowakei. Eine Bauverzögerung von ca. einem Monat ist wahrscheinlich. Ähnliches erlebt Florian Amlacher bei seinen Baustellen. Stephan Barasits überlegt Maßnahmen, um bei einem weiteren Shutdown weitere Verzögerungen zu minimieren.

Ein ganz neues Baumanagement ist notwendig. Auch kann man nicht davon ausgehen, dass alle Rohstoffe und Materialien zeitgerecht geliefert werden, sagt Marc Guido Höhne von Drees & Sommer.

Banken stehen auf der Bremse

Die Banken sind schon jetzt sehr zurückhaltend, berichtet Michael Pech. Peter Ulm spricht sogar von einem Déjà-vu, die Krise 2008/2009 betreffend. So besteht die Gefahr, dass die Banken die Krise noch verschlimmern und verstärken, indem sie sich auch bei guten Projekten zurückhaltend geben.

Silvia Wustinger-Renezeder ergänzt: Die Finanzierung von Eigentumswohnungsprojekten in der mittleren Preisklasse ist derzeit schwieriger als im Mietwohnbereich.

Somit wird nach der Krise Eigenkapital zu einem zentralen Wettbewerbsvorteil, ist sich auch Michael Pech sicher, der auch auf lange Sicht die Eigenkapitalquoten steigen sieht.

Digitale Kommunikation

Durch Nutzung digitaler Kommunikationstools können viele Prozesse in der Immobilienwirtschaft gut durchgeführt werden. So hat man beim ÖSW Wohnungsübergaben kontaktlos abwickeln können, berichtet Michael Pech; Eugen Otto meint, dass das die Hausverwaltung des Unternehmens unverändert weiterarbeiten konnte; Marc Guido Höhne und Florian Amlacher sagen, dass im Planungsbereich ungehindert digital weitergearbeitet werden konnte; EHL hat digitale Rundgänge auf viel mehr Wohnungen ausgeweitet, erzählt Sandra Bauernfeind. Daraus haben sich viele Anfragen ergeben, auch wenn es weniger Abschlüsse gibt.

Das Vertrauen in „remote“ arbeitende MitarbeiterInnen, ist eines der Learnings aus der Krise und auch einer der positiven Erfahrungen in dieser schwierigen Zeit, sagt Andreas Köttl.

Persönlicher Kontakt wird aber weiterhin sehr wichtig sein, gerade in einer Branche, wo es um viel Geld geht. Florian Amlacher fehlt dieser direkte Kontakt zum Kunden. Da muss einiges nach hinten verschoben werden. Basisinfrastruktur fehlt natürlich in Haushalten, damit wird Arbeiten schwerer.

Ein positiver Effekt der Erfahrungen aus #stayathome wird sein, dass man nicht mehr für zwei-Stunden-Meetings in der Welt herumfliegen muss, meint Jasmin Soravia. Und dass Home-Office und Teleworking auch ein Bestandteil der Zusammenarbeit bleiben werden, sind sich alle einig.

Digitalisierung der Branchen

Schlägt erneut die Sternstunde der Proptechs? Viele Proptechs bieten genau Lösungen für die aktuelle Situation: Digitale Kommunikation, kontaktfreies Service und gemeinsam nutzbare Ressourcen. Sandra Bauernfeind wünscht sich dabei jedoch eine verbesserte Integration der Proptech-Technologien in die etablierten IT Systeme. Das Programmieren von Schnittstellen ist zu mühsam. Auch Marc Guido Höhne sieht zu wenige gesamtheitliche Lösungen. Zwar gibt es jede Menge Einzellösungen, die auch sehr nützlich sind, so lange es aber nicht die Möglichkeit gibt, diese in die eigene IT einzubinden, bleiben sie unpraktisch.

Nachhaltigkeit

Die Corona-Krise wird von den Menschen als Symptom einer globalen Wirtschaft wahrgenommen, die Umwelt und Gesellschaft zu wenig beachtet. Alexander Kopecek meint daher, dass in Zukunft die Nachhaltigkeit der Immobilienbranche stark hinterfragt werden wird. Marc Guido Höhne sagt: „Das könnte einen Push auch in Richtung BIM bringen, weil Effizienz und Nachhaltigkeit, Wiederverwertbarkeit usw. damit besser umgesetzt werden können.“

Um Nachhaltigkeit auch in wirtschaftlich schweren Zeiten einen hohen Stellenwert einzuräumen, braucht es politische Entscheidungen, betont Michal Pech, da man diese Verantwortung nicht nur auf den Kunden und sein Kauf- und Mietverhalten auslagern darf. Andreas Völker meint, dass das Bewusstsein der Kunden – sowohl im Wohnen als auch bei Gewerbeimmobilien – stark gestiegen ist. Und mit smarter Technologie und intelligenter Finanzierung wird nachhaltiges Bauen auch nicht unbedingt teurer.

Unser Immobilienfachbeirat sieht nicht die Gefahr, dass Nachhaltigkeit in Zukunft dem Sparstift zum Opfer fällt.

Keine Krise ohne Chance

Mit Anfang Mai wird auch der Bürobetrieb in den meisten Büros wieder langsam hochgefahren. Und zu tun gibt es für die Immobilienunternehmen dann genug.

Chancen dieser Krise auszulassen ist eine der großen Risiken, meint Andreas Köttl. Wie sehr man dieses Potential nutzen wird, wird in hohem Maße davon abhängen, wie schnell sich Grenzen wieder öffnen und Europa wieder den Schulterschluss schafft.

Für Alexander Kopecek gibt es zwei Szenarien: Wenn es bald Behandlungsgmöglichkeiten oder sogar einen echten Impfstoff gegen Corona gibt, dann wird es auch schnell wieder zu einem Business as usual übergehen. Wenn uns aber Corona alle paar Monate zu einem erneuten Shutdown zwingt, dann schafft das Raum für drastische Veränderungen, wirtschaftlich und gesellschaftlich, und Chancen können dann besser genützt werden.

Wolfgang Scheibenpflug erwartet sich ebenfalls als positiven Impuls, dass einige Irrwege der letzten Jahren beendet werden.

Leicht sinkende Baupreise werden erwartet, da die Auslastung der Baufirmen etwas nachlässt. Auch bei den Grundstückspreisen zeichnet sich eine Normalisierung ab. Schlechte Zeiten also für Spekulanten, aber viele Erfolgschancen für Unternehmen mit starker Immobilienkompetenz und natürlich auch ausreichend Eigenkapital.

Die Immobilienbranche hat als Konjunkturmotor eine Verantwortung zu tragen, meint Peter Ulm. Es braucht kluges und nachhaltiges Investieren, Bauen und Schaffen von Lebensraum.

Eugen Otto meint zum Abschluss: „Nehmen wir unsere Verantwortung war: Sicherheit, Souveränität und Lebensqualität werden wieder mehr in den Fokus rücken, also bleiben wir zuversichtlich, neugierig und mutig!“

Am 22. September werden wir beim Ghezzo Immobilientag viele dieser Themen aufarbeiten! Wir freuen uns sehr auf das Wiedersehen!